Rückblick: Studienzeit von 2002-2012

Krefeld und Berlin

 Malerei ist ein Weg, der die Sinne zur Seele führt und von dort zurückkehrt.

Nur wenn man die Erdbeere probiert hat, kann man wirklich wissen, wie sie schmeckt. Erst dann kann man sich in jemanden hineinversetzen, der gerade eine Erdbeere ist. Dies ist, wie Empathie funktioniert. Wenn man nichts Sinnliches erlebt und sich nicht erinnert oder reflektiert, kann man nichts nachvollziehen. Die Wahrnehmung der Seele funktioniert ähnlich: Man benötigt Raum und Zeit, um sie wahrzunehmen und sich an sie zu erinnern, um sie als wirklich vorhanden bezeichnen zu können. Die Malerei ist ein Weg, in eine Zwiesprache zu treten.

 

Vom wirtschaftlichen Pfad zur künstlerischen Laufbahn

Mitten im vollen Leben, während ich beruflich in der Wirtschaft Fuß gefasst hatte und auf zwanzig Jahre angestelltes Arbeiten zurückblickte – inklusive kaufmännischer Ausbildung und einem nebenberuflichen BWL-Studium – stieß ich eher zufällig auf den Hinweis zu einem Kunststudium.

 

Etwas in mir wurde hellhörig.

 

Erinnerungen stiegen auf: die langen Autofahrten mit meiner Familie nach Spanien, Jahr für Jahr. Ich war fasziniert von den Weinbergen, die sich endlos an mir vorbeizogen. Ich begann, sie zu zeichnen. Ganze Städte entstanden unter meinen Händen – aus der Vogelperspektive, obwohl ich diese Perspektive gar nicht kannte. Ich zeichnete Häuser, Straßen, Menschen, Hunde, Blumen – und ordnete sie alle nebeneinander an, gleichberechtigt, miteinander verbunden. In der Schule hatte ich stets eine Eins in Kunst, aber dieser Weg erschien mir nie als echte Option. Es fehlte an Unterstützung, aber auch an der Vorstellungskraft, dass Kunst wirklich ein Lebensweg sein könnte.

 

Dann, Anfang dreißig, begegnete mir ein berufsbegleitendes Studium an einer Kunstakademie in Krefeld. Die Erinnerung an meine frühen Zeichnungen, an die Aquarelle, die ich in stillen Momenten in der knappen Freizeit malte, wurde wieder lebendig. Naiv vielleicht, mit wenig kunsthistorischem Hintergrund, aber mit einem tiefen inneren Ruf, entschloss ich mich, diesen Weg zumindest nebenberuflich zu gehen.

 

Ich konnte ein paar Arbeiten vorweisen – kleine, stille Werke, entstanden in der knappen freien Zeit neben meinem Alltag. Im Kennlerngespräch zeigte ich meine Mappe. Darin lag ein gezeichnetes Stillleben mit Mandarinen. Der Akademieleiter und Akademieleiter Veit Johannes Stratmann betrachtete es und sagte dann: „Wenn du die Mandarinen malst, malst du nicht die Mandarinen.“

 

Ich war irritiert, ja fast empört. „Wie bitte? Was soll das heißen? Was soll ich denn sonst malen?“, erwiderte ich trotzig. Sie lagen doch schließlich direkt vor mir, in der Schale. Er blieb gelassen, fast belustigt – während ich plötzlich mit etwas konfrontiert war, das mich tief traf. Eine Ahnung von Tiefe, von einer Wahrheit, die ich weder greifen noch erklären konnte. Auf dem Rückweg weinte ich aus Unsicherheit die ganze Fahrt lang. Mein damaliger Partner war wütend. Er meinte, das sei doch eine Sekte, riet mir dringend ab. Schublade auf, Schublade zu. Doch in mir wuchs etwas anderes:

 

Eine große Sehnsucht.

 

Ich spürte, dass mich dieser Weg rief – obwohl er unbequem war, obwohl er bedeutete, Gewohntes hinter mir zu lassen, Sicheres aufzugeben, ins Unbekannte zu treten.

 

Und so begann ich zu studieren. Vier Jahre lang, an Wochenenden, Malerei in Krefeld.

 

Diese ersten Jahre waren wie das vorsichtige Tasten nach einem neuen Licht in mir. Ich begann zu begreifen, dass ich nicht nur Mandarinen malte – sondern den Raum dazwischen, das Unsichtbare, das, was spürbar war, aber keine feste Form hatte. Und doch verstand ich es noch nicht.

 

Mit jedem Wochenende, das ich in der Akademie verbrachte, wurde mir klarer: Kunst war kein schöner Zeitvertreib – sie war ein Erinnern. Ein Erinnern an das, was ich immer schon wusste, aber verlernt hatte.

 

Ein anderes Sehen, ein anderes Fühlen begann sich auszubreiten.

 

Die Anfänge in Krefeld: Bewegtheit und Ruhe

Bereits in den frühen Arbeiten während meines Studiums in Krefeld begann ich, mich intensiv mit Farben und Materialien auseinanderzusetzen. Dabei traten zwei Themen schnell in den Vordergrund: Bewegtheit und Ruhe. Diese beiden Pole begleiteten mich von Anfang an und bildeten eine Art Spannungsfeld, in dem sich mein künstlerisches Empfinden ausdrückte.

 

Erste Stillleben - Die erste und zunächst unerkannte Lebensweisheit

Bei meinem ersten Stillleben sollten wir Früchte malen und ich wählte Zitronen, ohne viel über große Maler wie Cézanne nachzudenken. Intuitiv stellte ich die Zitronen zentriert auf, was sich später als bedeutungsvoll herausstellte. Obwohl ich damals nicht wusste, warum ich diese Anordnung wählte, erkenne ich heute, dass sie die Idee der Einheit in der Zweiheit und die Bedeutung der Zahl Drei widerspiegelt. Was anfangs nur wie eine unbewusste Entscheidung wirkte, war tatsächlich eine Antwort auf meine tiefere Frage: Was ist Kunst? Es war eine Erkenntnis, die ich damals noch nicht verstand, aber inzwischen als Teil meines künstlerischen Weges erkenne.

 

Die Freiheit der Linie - Rudolf Schoofs

In den ersten beiden Jahren meines Studiums experimentierte ich mit einer Vielzahl von Materialien wie Kreide, Aquarell, Öl, Acryl und Lack. Ich malte mit Waschlappen, Pinseln und Spachteln auf Holz, Metall, Leinwand und Glas. Es war eine regelrechte Explosion – ich wollte alles erkunden, am liebsten sofort. Die erste wirklich freie Serie, die ich malte, war eine Ölmalerei auf Baumwolle mit dem Titel "N.Y." (2003), in der ich meine Empfindungen zum Stadtleben durch dynamische Pinselstriche darstellte. Inspiriert wurde ich von Rudolf Schoofs’ New York-Bildern (1983), deren Freiheit mich faszinierte. Schoof behandelte die Form als wandelbar und öffnete mir den Blick für die Idee, alles als Prozess zu verstehen.

 

Ich suchte nach einem Ausdruck für meine Empfindungen, die ich damals noch nicht in Worte fassen konnte. Obwohl ich nie in New York gewesen war, fühlte ich mich mit der Stadt verbunden und konnte durch Selbstbeobachtung am Bild eine Ahnung davon bekommen, wie sich das Leben dort anfühlen musste. In Schoofs' Stil malte ich meine Stillleben und Bilder von Fotos. Es entstand eine dynamische Malerei, die von der Freiheit lebte, sich von der Vorlage und der Form zu befreien. Diese Erfahrung war für mich eine eigene Revolution und ein Prozess der Befreiung – nicht nur von der Form, sondern auch vom Gegenstand an sich.

 

Ich nahm die Formen zum Anlass, mich mit dem Pinsel über das Papier zu bewegen, und entwickelte zunehmend abstrakte Flächen. Ein Beispiel: Aus einer Honigmelone wurde ein "Feuerball" vor einem braun-blauen Hintergrund. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich wenig bis gar kein Wissen über Kunstgeschichte. Die Maler der wilden 80er-Jahre waren mir noch unbekannt, und meine einzige tiefere Begegnung mit Kunst war mit Van Gogh und Gauguin – doch damals hatte ich noch nicht die Fähigkeit, die Tiefe und Bedeutung ihrer Arbeiten wirklich zu verstehen. Ich war noch nicht in der Lage, bewusst zu erleben und zu reflektieren, was diese avantgardistischen Künstler der Menschheit geschenkt hatten.

 

 

Vom Gegenstand lösen - Wassily Kandinsky 2002 - 2004

Über eine Reihe kleiner Ölskizzen fand ich schrittweise über malerische Zwiesprache heraus, was mich wirklich interessierte (Studie, 2003). Mein innerer Auftrag für die Bilder war: Male was dich wirklich interessiert. Nach jeder kleinen Skzizze reduzierte ich mehr und mehr und ließ nur noch das stehen, was sich für mich stimmig anfühlte. In diesem Fall eine schlichte Situation: Ein Zweig angelehnt an einer Wand mit seinem Schtten, ein Schnipsel von einem Unkraut und zwei weitere abstrakte Flächen. Schlicht und klar.

Mir wurde bewusst, dass meine Studien, die ich in die Welt setzte, Zeugen einer mir schleichend ins Bewusstsein dringende und innenwohnenden Wahrheit waren, die sich auf natürliche Weise durch mich ins Bild gesetzt hatte. Dieser Erkenntnisflash stellte all meine bisherigen Vorstellungen von Realität infrage – ein überwältigendes Erlebnis.

 

Parallel zu dieser Phase las ich Wassily Kandinskys "Punkt und Linie zur Fläche", was mich tief fesselte. Dies führte mich schrittweise zu abstrakten Formen. Ich malte eine Serie mit geometrischen Flächen, die ich mit Abklebetechnik schuf (Parkplatz, 2004), und kombinierte diese mit organischen Formen (Garten/Garten2, 2004). Es war neu für mich zu begreifen, dass ich Landschaften erfinden konnte, die nur aus geometrischen Flächen bestanden, aber trotzdem einen Raum eröffneten. Die Freiheit der Komposition begeisterte mich, und ich hatte mich zu dieser Zeit noch nicht mit abstrakten Künstlern der Gegenwart beschäftigt. Eine Kommilitonin etwa imitierte Bilder von Roy Lichtenstein, aber das kam für mich nie in Frage. Für mich ging es immer darum, eine authentische, zu mir passende Komposition zu finden.

 

In dieser Zeit entstanden verschiedene Serien, die meine persönliche Forschung widerspiegelten. Sobald ich ein Thema für mich erforscht hatte, blieb ich nicht dabei hängen, sondern suchte nach neuen Ausdrucksformen. Während dieser Jahre malte ich noch mit Pinseln und orientierte mich an realen Situationen und Gegenständen. Die Bilder entstanden, während sie noch an der Wand oder auf der Staffelei hingen.

 

Bobb Ross

 

Zu Beginn meines Studiums, im Jahr 2002, spachtelte ich mein erstes Schlüsselbild mit Ölfarben – eine Landschaft mit Berg und See. Damals kannte ich die großen Maler*innen der Kunstgeschichte noch nicht, aber ich kannte aus meinen schlaflosen Nächten den Maler Bob Ross aus dem Fernsehen. Bevor ich überhaupt mit dem Studium begann, hatte ich bereits eine Schneelandschaft zu Hause gemalt, inspiriert von seiner Technik. Im Studium griff ich diese Spachteltechnik wieder auf und malte zu Beginn der Studienzeit ein Bild, das frei nach der Bob-Ross-Technik entstand – in nur fünf Minuten und ganz intuitiv. Es ist erstaunlich, dass diese unbewussten und schnellen Bildfindungen – die ich damals nicht ernst nahm – bereits eine Sprache vorwegnahmen, die heute mein Werk auszeichnet. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich diese Sprache noch nicht benennen, geschweige denn meiner Arbeit einen tieferen Wert beimessen.

Was mich besonders berührte, war das Phänomen der „Landschaft im Zentrum“ des Bildes, und wie wichtig der Bezug von Form zu Hintergrund und Format ist. Auch wenn das Foto leider von geringer Qualität ist und das Werk verschollen ist, weiß ich heute, dass diese frühe Auseinandersetzung mit der Komposition und der Gestaltung von Raum eine wesentliche Rolle in meiner späteren künstlerischen Entwicklung spielte.

 

o.T. (Berg und See.), ca. 50x 50 cm, Öl auf Holz, 2002

Bewegung, Körper, Empfindung – die Erweiterung des Formats (2005–2006)

Nachdem ich mich 2005–2006 aus verschiedenen gesellschaftlichen Verpflichtungen und Beziehungsgeflechten gelöst hatte, um mehr Raum für die Kunst zu gewinnen, richtete ich meinen Fokus auf großformatige Papierarbeiten. Ich baute eigene Pinsel – bis zu 60 cm breit – und goss die Farbe in längliche Blumenkästen. Mit einfachen, weit ausholenden Strichen wollte ich Landschaften einfangen. Dabei wurde mein eigener Körper zum Instrument: Der einmalige Akt des Auftragens und die darin liegende Bewegung waren zentraler Bestandteil des Malprozesses (Brunnen, 2005).

Ausgangspunkt war stets ein reales Erlebnis – in diesem Fall ein Brunnen im Gruga-Park, den ich zuvor fotografiert hatte. Parallel dazu entstanden während Spaziergängen und Reisen Videoaufnahmen, die ich später als Grundlage für kleine Serien spontaner Zeichnungen nutzte. Während die Videos liefen, übertrug ich meine inneren Reaktionen unmittelbar auf das Papier – so entstanden intuitive Arbeiten wie Wald (2005), die das visuelle Erleben in Empfindung übersetzten.

Mit der Zeit entfernte ich mich immer stärker vom Gegenständlichen – bis ich schließlich völlig aus meiner Innenwelt heraus arbeitete (Grün, 2005).

 

Beispiele für die vielen Filzzeichnungen, ca, 14,5 x 21 cm, Bleistift, Kugelschreiber, Lackstift, Marker, Filzstift auf Papier, 2006-2007

 

Beyond the Line – Rhythmus und Vielfalt (2006–2007)

In den Jahren 2006–2007 entstand eine Serie von mehreren hundert kleinformatigen Zeichnungen auf Papier, die ich mit handelsüblichen Stiften wie Bleistift, Lackstift, Filzstift, Kugelschreiber, Marker und Edding ausführte (beyond the line). Unter dem Einfluss von Wassily Kandinsky entwickelte ich zudem sogenannte Rhythmus-Studies: schnelle, impulsive Zeichnungen mit Edding, die in wenigen Sekunden auf kleinen Formaten entstanden (2006).

Diese Arbeiten zelebrierten für mich die unendliche Vielfalt künstlerischer Bildfindung – und zugleich die reine Freude am schöpferischen Tun. Zeichnen war für mich in dieser Phase gleichbedeutend mit lebendigem Sein. Genauer gesagt: Ich war süchtig danach.

In einer Ausstellung zeigte ich 188 dieser farbigen Filzstiftzeichnungen – dicht an dicht, Naht an Naht, in kleinen Metallrahmen – auf einer zehn Meter langen Wand, arrangiert in vier Reihen (beyond the line). Ein Zeitungsartikel trug den kritischen Titel: „Mit den Reizen nicht geizen“.

 

Beispiele für die Rhythmus-Studies, ca. 14,5 x 21 cm, Edding auf Papier, 2006

Kunst braucht ganze Aufmerksamkeit

 

Gegen Ende meines Studiums in Krefeld wurde mir klar, dass die Kunst meine volle Aufmerksamkeit verlangte, um in die Tiefe zu gehen – bis auf den Grund meiner Persönlichkeit. Ich spürte, dass ich ihr nicht nur meine Zeit, sondern mein ganzes Leben widmen musste.

 

Deshalb bewarb ich mich nach dem Abschluss in Krefeld an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Ironischerweise wurde ich nur einen Monat vor Studienbeginn noch befördert – und musste wenige Tage nach der Bekanntgabe meiner neuen Führungsposition verkünden, dass ich kündige, um nach Berlin zu gehen.

 

Es war kein leichter Schritt: ein gutes Gehalt, Sicherheit, eingespielte Strukturen – all das ließ ich hinter mir. In Berlin erwartete mich ein ganz anderes Leben: Studentenbude, Nebenjobs, volle Konzentration auf das Studium. Es war ungewohnt. Und im Sinne eines "Weltentausches" auch herausfordernd. Aber es war genau der Weg, der mich "zog", dem ich  unbedingt folgen wollte. Auch wenn ich nicht wusste, wohin mich dieser Weg führen würde. Ich folgte einfach meiner unerklärlichen tiefe Sehnsucht. 

 

 

Eruptiver Prozess in Berlin

 

Als ich nach dem ersten Kunststudium in Krefeld nach Berlin zog und dort 2007 ein weiteres Studium an der Kunsthochschule begann – mit Fokus auf Objekte und Installatioin und theoretische Studien – veränderte sich etwas Grundlegendes. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren arbeitete ich nicht mehr Vollzeit. Ich hatte plötzlich Zeit. Zeit für mich. Und diese Zeit wurde zum Katalysator einer inneren Metamorphose.

Es war kein sanfter Übergang, sondern ein Schleudergang. Eine psychische Häutung, die mich durchrüttelte. Alte Freundschaften brachen weg, meine Partnerschaft löste sich auf. Alles, woran ich mich gehalten hatte, löste sich – Stück für Stück. Doch mit jeder Auflösung offenbarte sich mir etwas Neues: ein innerer Raum, unberührt, aber vertraut.

Ich tauchte ein in Philosophie, Phänomenologie, Dichtung, Psychologie. Ich studierte spirituelle Lehren, die Erkenntnisse moderner Physik, Biologie, Astrologie, Hirnforschung – und religiöse Ansätze verschiedener Kulturen.

Parallel zu diesem inneren Weg veränderte sich auch die Welt rasant: Das Smartphone kam auf, das Internet war längst selbstverständlich. Information war plötzlich allgegenwärtig – und doch blieb die wichtigste Erkenntnis eine stille:

Die stete Dekonstruktion meiner gesellschaftlich geprägten Identität und die Verfeinerung meiner Sinne führten zu einer bewussten Wiederentdeckung meines authentischen, inneren Kerns. Ich nenne ihn heute: meine Essenz, mein Licht, meine Seele, meine Tiefe.

 

2010, nach einigen Jahren der Raumforschung und installativen Arbeiten, kehrte ich zur Malerei zurück. Leise hatte sie sich bereits fortführend angekündigt – in kleinen „Tropfen-Zeichnungen“, in Linien, die wie aus einem inneren Fluss heraus entstanden (Spotzeichnung, 2010). Sie führten mir vor, was Körper eigentlich wirklich sind:  reine Schwingung.

Ich begann, mich intensiv mit fließenden Farbprozessen und daraus herauslaufender Zeichnung auseinanderzusetzen.

 

o.T.  (Spotzeichnung) 14,5 x 21 und 30 x 40 cm, Tusche, Airbruschfarbe, Bleistift auf Papier, 2010

o.T.  (Spotzeichnung) 30 x 20 cm, Tusche, Airbruschfarbe, Bleistift auf Papier, 2010

Die Geburt meiner neuen Malerei-Technik

Alle persönlichen, raumspezifischen und technischen Erfahrungen verdichteten sich in dieser Phase zu einer neuen Malweise – einer, in der alles in Bewegung ist: der Geist, die Airbrushfarben, Tuschen, Schelllacke und Pigmente, ebenso wie das Mineral- und Quellwasser. Eine Technik, die keine feste Kontrolle zulässt, sondern eine zutiefst spontane, intuitive und lebendige Arbeitsweise einlädt.

Ich erforschte die Möglichkeit, der Form zu gestatten, sich auf dem Bildträger selbst zu entfalten – im Zusammenspiel mit dem Zufall, durch schwenken und freies Fließen der Farben das Bild zu gestatten, aus sich selbst heraus zu entstehen.

Mit jedem Bild spürte ich, dass sich meine Bildsprache verselbstständigte. Etwas Inneres hatte seinen Weg ins Sichtbare gefunden. Die oft stille, meditative und dadruch unsichtbare innere Arbeit begann ästhetisch zu sprechen – ganz ohne Absicht, ganz ohne Plan. Diese Malweise forderte mich heraus: nicht nur im Technischen, sondern im Innersten und meine Widerstände dagegen. Denn diese Methode verlangte den völligen Verzicht auf Kontrolle. Und vielleicht war genau das die größte Prüfung, die ich für meine Diplomarbeit im Jahr 2011 brauchte – und das größte Geschenk zugleich.

 

Der wesentliche und weiche BlickDas Diplom-Jahr 2011

In diesem letzten Jahr in der Kunsthochschule folgte ein Experiment dem nächsten – fast wie Atemzüge einer forschenden Seele. Ich führte mir mit den Ergebnissen selbst vor, was mir nicht bewusst war. Ich untersuchte Reaktionen, das Verhalten von Schichten, das subtile Miteinander der Farben. Ich ließ sie auf verschiedenste Materialien treffen: Papier, Leinwand, Glas, Stein, Gips, Kunststoff. Und ich mischte sie mit Leitungswasser, Mineralwasser – und schließlich mit Quellwasser.

 

So entstand allmählich eine neue Kombination aus Quellwasser, Airbrush, Tuschen, Pigment auf Baumwolle und Keilrahmen. Diese Technik ist kein festgelegtes Verfahren, sondern eine Einladung für Offenheit – für das Unplanbare, das sich in seiner Eigenlogik entfalten möchte. Das Bild als Spiegels eines Seinszustandes. In genau dieser Offenheit scheint sich ein Blick zu zeigen, der nicht bewertet, nicht festhält – sondern erkennt: der wesentliche und weiche Blick der mit der Seele und dem Bewusstsein verbunden ist.

Meine Diplomarbeit Just Now (2011) hat diesen Moment der reinen Präsenz eingefangen. Sie entstand aus 100% Loslassen: einem freien, intuitiven Tun – mit der leisen Absicht, sichtbar werden zu lassen, was sich durch sich selbst zeigen will. Entdeckst du aus der tiefe kommenen, pupillenartigen Blick, der sich ins Bild gesetzt hat, ohne dass ich es bewusst gesteuert hätte? Nur, weil ich ganz feine Pigmentfarben benutzt habe und diese sich im Trocknungsprozess eigendynamisch abgelagert haben, können sie uns im Bild anschauen. Wenn man vor dem Original steht bekommt man eine Gänsehaut! In Kombination mit dem samtweiß grundierten Kreidegrund und den fotografieähnlichen Erscheinungsbild des Flecks in der Mitte, aus dessen Tiefe uns ein Blick anschaut? Wessen Blick ist es?

 

Diplomarbeit: o.T. (Just Now), ca. 184 x 204 cm, Airbrushfarbe, Mineralwasser auf Leinwand, 2011

unten: Diplom-Ausstellungsansicht in den Uferhallen Berlin, 2011


Meisterschülerjahr 2012: Innere Portraits 

 

Ich vertiefe und variierte die frei fließende Technik weiter. Es entstanden „Flecken“ auf Leinwand. Wie ein Apfel im Wachstum irgendwann an seine Grenzen stößt, so ließ ich die Farben auf den liegenden Malgrund fließen – spielte mit den Zufällen, gesteuert ausschließlich von meinen inneren Impulsen, die sich an mir abspielen: innere Dialoge wechselten mit ästhetischer und innerer Reflexionen von Schicht zu Schicht. So wuchsen über Monate oder manchmal in einer Tages- und Nachschichtschicht Bilder heran, die eine eigene Dynamik erreichten. Wachsend aus ihrem Zentrum heraus, markierten sie mich als ein unwissendes Wesen, das – im Nichts seiend – blind geführt, Spur auf Spur legt, um am Ende das ästhetisch vollständige Bildes schaffen zu können.

 

In der Meisterschüler Ausstellung zeigte ich 5 Werke dieser neuen Reihe.

 

Ausstellung Meisterschüler in einem leerstehenden Eckgebäude am Oranienplatz 2012

o.T. (Wesenhaftes/Essence), Airbrushfarbe, Tusche, Pigment, Mineralwasser auf Baumwolle, ca. 190 x 150 cm, 2012

o.T. (Zitronen), ca. 50 x 60 cm, Öl auf Baumwolle, 2002

o.T. (Landschaft), ca. 30 x 60 cm, Öl auf Baumwolle, 2002

o.T. (N.Y.), ca. 120 x 100 cm, Öl auf Baumwolle, 2003

o.T. (Studie), 30 x 80 cm, Öl auf Holz, 2003

o.T. (Parkplatz) ca. 120 x 90 cm, Acryl auf Baumwolle, 2004

o.T. (Garten), ca. 21 x 15 cm, Acryl auf Holz, 2004

o.T. (Garten2), ca. 21 x 15 cm, Acryl auf Holz, 2004

o.T. (Brunnen), ca. 133 x 160 cm, Acryl auf Papier, 2005

o.T. (Wald), ca. 21 x 14,5 cm, Öl auf Papier, 2005

o.T. (Farbwelt), ca. 160 x 133 cm, Acryl auf Papier, 2005

o.T. (Grün), ca. 133 x 170 cm, Acryl auf Papier, 2005


Poetry- und Soul-Bilder seit 2012

 

Poetry- und Soul-Bilder seit 2012

 

In den Jahren nach dem Diplom experimentierte ich weiter mit fließenden Farben auf Leinwand.

 

In der Freiheit des Malprozesses ergaben sich die Themen erst im Nachhinein: Poetry 2011-2015, Soul 2013-2020, Ohne dass ich es geplant hätte, setzte sich Seele ins Bild.

 

Serie Soul: 井 1.9 (Nachtlicht), Airbrushfarbe, Pigment, Tusche, Quellwasser auf Baumwolle, 50 x 60 cm, 2013-2016

Disobedient Colours (2013–2016)

 

Parallel zu Soul und Poetry begann ich 2013 mit einer experimentellen Großformat-Serie:
Disobedient Colours.

 

Diese Bilder wuchsen über Monate – manchmal sogar über Jahre – heran. Sie verlangten blindes Vertrauen in den Schöpfungsprozess und vollen Körpereinsatz durch das große Format.

Es entstanden Werke mit einer kraftvollen, sehr eigenwilligen Energie.

 

1.2 Disobedient Colours,  Airbrushfarbe, Tusche, Quellwasser auf Baumwolle, ca. 200 x 220 cm, 2013

 

Seit 2016 Malerei auf Glas

 

Seit 2016 ist eine weitere Dimension hinzu gekommen: Glas, das nun in die Kehrseite der Malerei Einblick gewährt und gleichzeitig die eigentliche Vorderseite bildet. Diese Materialwahl eröffnet einen neuen Blick auf das, was im Inneren verborgen liegt, und fügt meiner Arbeit eine zusätzliche Ebene der Tiefe und Transparenz hinzu. Glas als Medium lässt die Werke atmen und zeigt die unsichtbaren Schichten der Emotion und Energie, die unter den Schichten der äußeren Form verborgen sind. Sie wirken organisch-köperhaft. 

 

井 2.46 Die Sprache des Purpur. Der Pilger. Von der Wahrheit geleitet — Purpur Language. The Pilgrim. Guided by Truth, Quellwasser, Airbrushfarbe, Tusche auf Glas, 160 x 90 cm, 2020 (Ansicht: Kehrseite Glas)