Farben - Flüssige Zeit

Farben – Flüssige Zeit.

Ewigkeit und Endlichkeit.

Schöpferischer Prozess des „Festwerdens“.

Phänomenologie des kreativen Prozesses.

Als eine Geschichte von tun und geschehen lassen, von einfühlen und geführt werden von jenem was geschieht.

Farbe, Form – Inhalt. Wahr-nehmen und er-innern.

Auch Geschichte der Laudation erzählen. Von lateinisch laudare ‚lobenʻ, ‚preisenʻ Das Loben. Werke bzw. Schöpfungen der Künstlerin (Laureatin) kommentieren. Kommentar als Übersetzung.

Italienisches Sprichwort: „traduttore – traditore“ „Übersetzer – Betrüger“ Unübersetztbarkeit gleich Unverstehbarkeit?

Dieser Betrug beginnt aber schon ganz am Anfang, als Selbstbetrug, wenn der Prozess erinnert und in Semantischen Inhalt gegossen werden will.

Wo der Inhalt, dasjenige was in der Form erscheint,
sich nur zeigen lässt,
und nicht sagen.
Das Loben wird so zu einem Glied in der Kette des Betruges, und aber auch der Verwandlung.

Eine Kette um etwas zu er-greifen,
was sich nicht
be-greifen lässt.
Zumindest noch nicht, oder nicht gleich, nicht als das, was es
an-sich ist.

Ich wurde bei der Einladungskarte (diese Bild) spontan gefragt, ob das eine Blume ist.

 

Und in mir antwortete es ebenso spontan: Ja, das könnte sein.

Obwohl ich zugleich wusste, dass es keine Blume „ist“. Sondern etwas ganz anderes.
Eine
Er-innerung an rotes Verfließen, vielleicht, und damit aber etwas, was „Blume“ auch sein kann. Unendliches Verfließen, oder „tausendfaches Zwinkern“ wie Rilke über die Rose sagen kann:

Dich haltend,
frische klare Rose,
Gegen mein geschlossenes Auge –,
man meinte tausend übereinander gelegte Lider, lägen gegen meines,
das heiße.
Und tausend Schlafe gegen meinen,
unter dem ich wandele,
im labyrinthischen Duft.

(Tʼappuyant, f
raîche claire rose,
contre mon œil fermé –,
on dirait mille
paupières superposées
contre la mienne chaude.
Mille sommeils contre ma feinte
sous laquelle je rôde
dans l'odorant labyrinthe.
Rilke, R. M. ,in
Les Roses – Les Fenetres, eigene Übers.)

Die Welt der Farbe scheint daher auch nur vorläufig erstarrt.
Als ob wir an etwas teilhaben, was noch tausend Jahre oder
tausend Schlafe weiter fließt, und teilhaben lässt, an dieser fortfließenden Unendlichkeit.
Lucia Fischers Bilder verräumlichen das tiefe Fließen.
Sie scheinen, als ob man – oder besser wir – hinein,
und (oder) hinter die Zeit sehen könnte.
Dunkle Seiten breiten sich aus, ziehen hinunter.
Leuchtende Farblichkeit trägt
her-auf, her-vor, her-ein.

Durchscheinendes verbindet die Wege.
Dieses Wandern des Blickes, dass in Lucia Fischers Bildern wie in einem — manchmal fröhlichen, oft tragischem Lied — verschiedene Geschwindigkeiten erfährt,
öffnet Schritt für Schritt die Anschauung für eine andere Ewigkeit,
die nicht mehr die Ewigkeit des
tausendjährigen Fließens ist,
mit seinen unzähligen, aber doch irgendwie festhaltbaren Einzelerstarrungen.
Sondern eine Ewigkeit, die sich mit dem Endlichen
verbrüdert, und sogar versöhnt.

Eine Versöhnung, die sich anschauen, durchfahren, aber vor allem erfühlen lässt.
Dieses Fühlen, wenn es sich zu öffnen vermag, mag das gleiche tiefe und leichte
Gefühl sein, was sich der Künstlerin eröffnete, im schöpferischen Moment, im Moment des noch ersten Fließens.
Nicht immer, und nicht sofort.

Aber jedes dieser Werke der Künstlerin hatte seine ganze Zeit, und wurde erst als voll und fertig gelassen,
als es seinen ewigen Moment aufheben konnte.
Und dieses gleiche Fühlen hatte auch der Laudator,

als er im ersten Austausch mit der Künstlerin und in der Einfühlung ihrer Schöpfungen ihr je ewiges erahnte und einfühlte.

Und genau so, ist diese Anschauende und Anschauliche in Farbe gegossene und weiterfließende Ewigkeit auch dem hingebenden Betrachter geschenkt, und zur Anschauung des Geistes gebracht.

 

Richtig verstanden, muss es also keinen Betrug geben, und keiner auch nicht der Laudator Betrüger sein.
Dasjenige, was in den Tiefen von Lucia Fischers Bildern aufgehoben ist,
ist für den Schöpfer, den Laudator und dem geneigten Betrachter,

– als diese wir durch diese Zeremonie der Er-öffnung alle eingehen –, mit gleichem Recht, je das Gleiche und je nicht dasselbe.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen die Er-öffnung oder vielleicht noch besser die Erleuchtung unserer anschaulichen Sinnlichkeit, als je für sich und je öffentlich eröffnend.

 

Dr. Alexander Berg, Philosoph, Galerie Ost-Art, Laudatio, Berlin Lichtenberg, 2014